RoRo-Hafen Antwerpen nimmt Fahrt auf

Antwerpen. Der belgische Seehafen Antwerpen ist ein Welthafen: Er gilt als größter Bananen- und Kaffeeumschlagplatz Europas, führender Petrochemie-Cluster Europas, ist hinter Rotterdam der zweitgrößte Hafen in Europa und nimmt auf der weltweiten Container-Rangliste Platz 15 ein. „Was Hamburg umschlägt, wird bei uns an einem einzigen Terminal abgefertigt“, so Mag. Walter Holzhammer, Repräsentant des Hafens Antwerpen für Österreich und Ungarn.

Der Hafen ist der wirtschaftliche Motor der Region Antwerpen, Flandern und Belgien. Von Windgeneratoren über Autos bis Kaffee und Obst wird grundsätzlich alles umgeschlagen, was in oder auf ein Schiff geht. Der Hafen ist außerdem der Standort einer der größten integrierten Petrochemie-Cluster in der EU. Maritimer Umschlag, Industrie und Logistik gehen in Antwerpen Hand in Hand. Diese Kombination sorgt für rund 143.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze.

Die Antwerpener Hafenbehörde verpachtet die Grundstücke im Hafen-areal und kümmert sich um den Bau und die Erhaltung der Infrastruktur wie Kaimauern, Schleusen, Brücken oder Straßen. Letztere sind öffentlich befahrbar, lediglich die Terminals sind abgesperrte Gebiete. Die Kunden des Hafens sind einerseits Reedereien sowie Speditionen, und andererseits die Terminalbetreiber. Sämtliche Terminals verfügen über einen Gleisanschluss. Die Suprastruktur am Terminal (Lager, Gebäude, Krane etc.) liegt gänzlich in der Verantwortung der Pächter.

Der Hauptsitz der Antwerp Port Authority befindet sich im 1922 erbauten Hafenhaus, das vor 3 Jahren nach einem Entwurf der mittlerweile verstorbenen Architektin Zaha Hadid mit einem Diamant-förmigen Ausbau erweitert wurde. Dort finden 500 der insgesamt 1.591 vom Hafen Antwerpen direkt beschäftigten Personen einen Arbeitsplatz, verteilt auf die Abteilungen Marketing, Kundenservice, Investitionen, Recht, Finanzen, Technik und Kontrolle der einfahrenden Schiffe.

Der Seehafen Antwerpen ist ein Gezeitenhafen. Dank zahlreicher Schleusen bleibt der Wasserstand in den Docks allerdings gleich, was den Umschlag von See- und Binnenschiffen gleichermaßen erleichtert. Während Container per Kran auch gezeitenunabhängig verladen werden können, ist dies für RoRo-Ladung nicht möglich. Die 2016 eröffnete Kieldrecht-Schleuse hat eine Wassertiefe von 17,8 Metern, ist 500 Meter lang, und ermöglicht damit auch 22.000 TEU-Containerschiffen den Zugang zu den dahinter liegenden Docks. Dort werden aktuell zwei der insgesamt drei RoRo-Terminals im Hafen betrieben: Grimaldi ist über ein Joint Venture mit Mexico Natie am Antwerp Euroterminal vertreten; und die eigenständige NYK-Tochter ICO (International Car Operators) hat ihr Europa-Hub in Antwerpen angesiedelt, wo rund 470.000 Versandbewegungen pro Jahr durchführt werden. Einschließlich der Aktivitäten an den drei Terminals in Zeebrugge schlägt ICO rund 1,6 Mio. Fahrzeuge pro Jahr um und wickelt 1.000 RoRo-Schiffsanläufe ab. Vom Antwerpener ICO-Terminal bestehen über die Reedereien MOL und Hoegh Autoliners Verbindungen Richtung Fernost; mit Grimaldi gelangt man ins Mittelmeer und nach Afrika, ACL bietet Anschlüsse nach Nordamerika und Finnlines deckt Nordeuropa ab. Diese Verbindungen in alle Himmelsrichtungen machen Antwerpen zu einem weltweiten Autoumschlagplatz.

Auf dem ICO-Terminal stechen neben Marken wie Hyundai, Kia, BMW und Volvo vor allem die in Mexiko und Japan gefertigten Neuwagen des Hauptkunden Mazda ins Auge, mit dem seit 26 Jahren eine Kooperation besteht. Derzeit arbeiten drei Angestellte des Automobilherstellers auf dem Hafengelände. Für die Verteilung in Europa wird trotz Gleisanschluss auf den Straßentransport gesetzt: Neben der Flexibilität auf den letzten Kilometern kann zudem eine Umladung eingespart werden, erläutert der langjährige ICO-Terminalmanager Johan Lockefeer gegenüber der Österreichischen Verkehrszeitung. Eine Kooperation besteht unter anderem mit der Firma Hödlmayr, welche die Fahrzeuge nach Deutschland, Österreich, Frankreich oder BeNeLux bringt.

Eine besondere Herausforderung bringt seit Juli 2018 der Autoexport nach Australien und Neuseeland mit sich: Aufgrund eines möglichen Befalls mit Stinkwanzen müssen sämtliche Fahrzeuge, die während der entsprechenden Saison ausgeliefert werden, einer Begasung oder Wärmebehandlung unterzogen werden. Ganz im Sinne der ebenfalls am Terminal erbrachten Mehrwertdienstleistungen (wie Spezial-Lackierung oder länderspezifische Umbauten) werden die Neuwagen in zwei großen Zelten kurzzeitig auf eine Temperatur von 55°C erwärmt. Pro Fahrzeug entstehen dabei Mehrkosten von 250-300 Euro. Sollte das Problem weiterhin bestehen, überlegt man am Terminal eine entsprechende Anlage zu bauen.

Abgesehen von den Neuwagen und Nutzfahrzeugen warten auch Gebrauchtwagen aus ganz Europa auf ihre Verschiffung (mit den Diensten der MSC) nach Westafrika. Dies ist zwar nicht das Kerngeschäft, macht jedoch einen Gutteil der Aktivitäten aus.

Seit 2012 arbeitet man bei ICO mit dem neuen TOS – Terminal Operating System. Die Software ermöglicht allen Beteiligten Einsicht in die jeweils für sie relevanten Echtzeit-Informationen zum Transportprozess. So kann gleichzeitig der gesamte Weg des Fahrzeuges vom Hersteller bis zum Autohändler belegt werden. Zur Terminalausstattung gehört außerdem eine Messanlage zur Ermittlung der tatsächlichen Höhe, Breite, Länge und des Gewichtes der Versandeinheiten. Besonders im Bereich High&Heavy ist es unabdingbar festzustellen, ob die Ladung Platz an Bord des Schiffes findet. Und frei nach dem Motto „Was nicht rollt wird rollend gemacht“ kommen für Maschinen die zu groß sind um als Ganzes transportiert zu werden, Mafi-Trailer zum Einsatz. Insgesamt wurden im Jahr 2018 über 5 Mio. Tonnen RoRo-Güter in Antwerpen abgefertigt.

Mehr als 1,2 Mio. Fahrzeugeinheiten wurden zuletzt jährlich über Antwerpen umgeschlagen. Das steigende Aufkommen verdankt man zum Teil dem Umstand, dass Bremen derzeit mit Kapazitätsengpässen zu kämpfen hat. So läuft ein Großteil der Autoimporte nach Europa über Antwerpen und Rotterdam. Aktuell verfügt Antwerpen über eine jährliche Umschlagskapazität für 2 Mio. Fahrzeuge.

Historisch betrachtet hat sich das Hafenareal ausgehend von der Stadt Antwerpen entlang der Schelde Richtung Norden bis zur Grenze mit den Niederlanden ausgebreitet, während in jüngerer Vergangenheit Terminals am linken Scheldeufer angesiedelt wurden. Dort befinden sich noch rund 1.000 Hektar „Landreserven“. Es gibt Pläne in diesem Areal in Zukunft weitere Docks zu errichten, jedoch spießt es sich mit der direkt am Wasser gelegenen, verlassenen Ortschaft Doel. Auch das nahegelegene Atomkraftwerk trägt nicht unbedingt zur Attraktivität als Wohnort bei. Bereits in der Vergangenheit musste der Hafen im Zuge des steten Ausbaus einige Dörfer „verschlucken“ – daran erinnert noch der ein oder andere Kirchturm inmitten des Hafenareals. Ein seltsam anmutendes Bild. Ob auch die Kirche in Doel weiter fortbesteht, bleibt abzuwarten.

BARBARA SCHUSTER

Schreibe einen Kommentar

Translate »